
Anerkennungspreis der Stadt Wil 2012: Ohm 41
Kunstschaffende Wil und Umgebung
Sehr geehrte Damen und Herren
Lange bevor sich die heutigen Mitglieder der Gruppe Ohm 41 als "Revoluzzer" outeten füllten
sie das Vakuum an zeitgenössischer Kunst in der Stadt Wil mit der Organisation
unkonventioneller Kunstausstellungen. Das waren zwischen 1986 und 1996 für Wil durchaus
revolutionäre Ereignisse die in den damals noch recht abenteuerlichen und stimmungsvollen
Räumen, Kellergewölben und Verliessen des Hofs, das aktuelle Kunstschaffen von Wil und
Umgebung in allen Facetten präsentierte. Mit dem "Kunst auf Tritt Schwertstiege" von 1998
hatte sich die Gruppe praktisch formiert. Sie nutzte den speziellen Ort des Rathausdurchgangs
bis hinunter zum Weiher, auf und neben der Treppe für einen überzeugenden Auftritt. Er
vereinte bereits alle Elemente ohmscher Inszenierungen wie überbordende Phantasie, Witz, die
kritische Auseinandersetzung mit der nahen und ferneren Welt und poetische Aspekte
entsprechend den verschiedenen Künstlerpers.nlichkeiten zu denen auch Toni Calzaferri und
Roland Guggenbühler gehörten.
Der Diskussion um den öden Bahnhofplatz setzte das Geschenk eines grossen Unternehmens
an die Stadt in Gestalt einer unsäglichen Betonplastik mit dem Titel "Welcome" das berühmte
Pünktchen aufs i. Obwohl das vor dem Bahnhof deponierte Werk in der damaligen
Vorweihnachtszeit an ein überdimensioniertes "Mailänderli" erinnerte, ausgestochen mit einer
Form von winkenden Figuren, wirkte es als Katalysator zum Widerstand gegen die Kulturpolitik
der Stadt. Die Gruppe Ohm 41 wurde gegründet und die erste Aktion, die Verhüllung der
"Welcome-Figur" ging über die Bühne des Bahnhofplatzes. Danach folgten wie ein Paukenschlag
dem andern, grosse, beeindruckende Ausstellungen abwechselnd mit Aktionen und kleineren
Projekten. Bespielt werden dabei Orte in Wil oder auch die Bahnhöfe an der Linie Wil-
Frauenfeld. Neben Ohm-Kunst den Installationen und Skulpturen der Vereinsmitglieder werden
stets auch Gäste zur Teilnahme eingeladen. Namhafte Künstlerinnen und Künstler aus dem Inund
Ausland trugen mit zum Erfolg der Ausstellungen bei.
Zu den Höhepunkten unter den vielen bisherigen Veranstaltungen, die zeitgenössische,
experimentelle Kunst im öffentlichen Raum vorstellten, gehören: "Wildwechsel" 2002,
"Eingleisig" 2008 und "Taf el Ente" von letztem Jahr. Auf diese Veranstaltungen möchte ich kurz
eingehen. Die grosse Kunstaktion "Wildwechsel" ermöglichte die Begegnung mit vielfältigsten
und brisanten Kunstwerken. Vom Schwanenkreisel durch die obere Bahnhofstrasse führte sie
die beiden Gassen der Altstadt hoch zum Hof, wo die Ausstellung in der Kunsthalle ihren
Abschluss fand. Die Eröffnungsrede hielt Regierungsrätin Kathrin Hilber, die in der Kulturszene
des Kantons wie seither auch die Künstlergruppe Ohm viel bewegt hat. Nicht zuletzt beruht der
Erfolg der Gruppe auch auf der Anerkennung und Förderung durch das kantonale Amt für
Kultur. Programmatisch demonstrierte die Veranstaltung das Anliegen der Gruppe, Kunstwerke
mit kritischen Ansätzen zu Politik und Umwelt, mit gesellschaftlicher Relevanz ganz allgemein,
die gezielt für den Anlass entworfen oder ausgewählt worden sind, vorzustellen. Nur mit
grossem Enthusiasmus und Einsatz ist es möglich auf privater Basis, in Überwindung aller sich in
den Weg stellenden Schwierigkeiten, ein so umfangreiches Unternehmen glücklich
durchzuführen. Ohm Art 4 "Eingleisig" machte die Haltestellen und Bahnhöfe der Wil-
Frauenfeld-Bahn durch situationsbezogene Eingriffe und Installationen zu ereignisreichen
Kunststationen, die es zu entdecken galt. Die Begleitaktion, etwas Intercity feeling an die Wiler-
Bahn zu bringen indem die seit den 50er Jahren für Milchschokolade werbende "Villard-Kuh"
von der IC Strecke Wil-Winterthur abmontiert und ans Bahntrassee vor Münchwilen platziert
wurde, fand trotz Polizeieinsatz ein glimpfliches Ende.
In noch ganz frischer und bester Erinnerung wird wohl den meisten unter Ihnen die letztes Jahr
durchgeführte Produktion "Taf el Ente" sein, mit Kunstpräsentationen am und um den
Stadtweiher und dem reichhaltigen Rahmenprogramm. Bereits durch die Eröffnungsperformance
echt ohmscher Prägung wurde der Vorhang zum Reich der Phantasie weit aufgezogen. Ein
Heiliger, vermutlich der Schutzpatron der Wasservögel glitt auf einer riesigen Sandale über den
Weiher, lief über das Wasser, ging unter und eine Badeente tauchte statt seiner auf. Das liess
schon erahnen, dass Ohm mit vollem Einsatz und unverminderter Kreativität wieder eine
spannende Ausstellung inszeniert hat bei der die einzelnen Werke mit ihrer Umgebung einen
Dialog eingehen. Ein Zeltrestaurant und life Aktionen belebten das Weihergelände als
Freilichtkulturzentrum allabendlich bis spät in die Nacht. Die Möglichkeit mit den praktisch
täglich anwesenden Künstlerinnen und Künstlern das Gesehene diskutierend zu vertiefen wurde
rege genutzt.
Ohm 41 möchte anecken, Opposition hervorrufen und Diskussionen auslösen – die Gruppe
stösst heute freilich nicht nur bei notorischen Kunstenthusiasten auf wachsende Anerkennung
für ihre Verdienste zur Bereicherung des kulturellen Lebens in Stadt und Region Wil. Die
ursprünglich gebrandmarkte Ereignislosigkeit im Bereich zeitgenössischer Kunst im öffentlichen
Raum in der Stadt Langwil hat Ohm aus eigener Initiative gemeinsam mit anderen Institutionen
wie der Kunsthalle, als Synergien nutzendes Netzwerk, aktiv geändert. Mit ihren Ausstellungen
und Kunstaktionen in Genua, Wien, Istanbul und Berlin tragen sie den Namen Wil als Ort
aktueller, experimenteller Kunst in die Welt.
Eine Stadt lebt von ihren aktiven Kulturvereinen. Diese zu fördern und zu ermuntern nimmt Wil
heute mit der Überreichung des Förderpreises 2012 an Gruppe Ohm 41 wahr. Und was gibt es
schöneres, als weiterhin viel kreative Energie, gute Ideen und Erfolg für die Zukunft zu
wünschen. Herzliche Gratulation an die Ohm-Mitglieder: Franziska Peterli, Markus Eugster,
Thomas Freydl, Stefan Kreier, Errico Mirto, Renato Müller, Fulvio Musso, Roland Rüegg,
Andreas Schedler und Kurt Scheiwiller.
Frank Nievergelt